2024, Jahr des Igels – oder auch nicht?
Ein Interview mit der Igel-Pflegestelle in Worringen

In einem Wintergarten in Worringen stapeln sich einige Nagerkäfige. Und diese sind auch bewohnt. Nicht etwa mit Kaninchen oder Meerschweinchen, nein, hier wohnen Igel. Leider nicht aus allzu erfreulichen Gründen, denn den Igeln geht es schlecht. Ich bin zu Besuch in der Igel-Pflegestelle Worringen bei Angelika.


Angelikas Arbeitsplatz, hier werden die Igel behandelt

In der Ecke steht eine kleine Station mit Medikamenten, Salben und Ausrüstung zur Behandlung der Igel, die bereits bei Angelika angekommen sind. Sogar ein Mikroskop ist dabei. Vor ein paar Wochen habe ich Angelika einen Igel gebracht, der röchelnd und schwächlich über eine Wiese wankte. Im Internet fand ich die Website der „Erftigel“, deren Ehrenamtler versuchen Anrufe rund um die Uhr entgegen zu nehmen und an ihre Pflegestellen und Igelstationen zu vermitteln. So landeten „Alex“, wie Angelika den Igel in ihren Bestand namentlich aufnahm, und ich bei der Igel-Pflegestelle in Worringen.
Es ist abends, als ich die Station wieder besuche. Zeit die Igel zu versorgen und zu füttern. Angelika zieht sich Einweghandschuhe über und holt Alex aus seinem Gehege. Zuletzt habe ich ihn halb


Angelika muss jede Behandlung und Kontrolle protokollieren


Ganz schwache Igel bekommen ihr Futter manuell zugeführt


Inhalationsbehandlung bei Lungenleiden

zusammengerollt in einer Wolltasche auf einer Heizplatte gesehen. Jetzt protestiert er schnaufend, grunzend und empört zuckend über seine Kontrolluntersuchung. Er war stark unterernährt und dadurch sein Immunsystem geschwächt. Das hat ihm Lungenwürmer und vermutlich auch eine Lungenentzündung eingehandelt hat. Die Parasiten ist er los und er hat schon einiges an Gewicht zugelegt. Angelikas Einsatz für Alex und ihre Arbeit mit den Igeln haben mich nachhaltig beeindruckt und ich möchte mehr darüber erfahren.

Vor vier Jahren hat Angelika selber einen hilfsbedürftigen Igel gefunden. Auch sie wusste zunächst nicht, woher sie Hilfe bekommt und landete am Ende bei der Igelstation in Pulheim von Karin Oehl, die mittlerweile mit ihren 80 Jahren im Ruhestand ist. Frau Oehl war dann über längere Zeit Angelikas Mentorin im Thema Igelpflege. Mit den fortwährenden Schulungen von Pro Igel e. V. strebt Angelika als nächstes den notwendigen Sachkundenachweis an, damit ihre Pflegestelle offiziell eine Igelstation werden kann. Denn Igel sind Wildtiere und als solche darf man sie nicht einfach der Natur entnehmen und bei sich halten.

Intensivpatienten


 Gottfried hat sich in einer Schlinge den Kragen aufgeschnitten


Babyigel aus dem Sommer 2023

Für jeden einzelnen der Igel gibt Angelika ihr Bestes. So brauchen zum Beispiel Intensivpatienten, um die es besonders schlecht steht und Igelbabys alle zwei Stunden ihre Aufmerksamkeit. „Andere Leute stehen morgens auf und das Erste was sie machen, ist sich die Zähne zu putzen. Ich schaue, ob es meinen Igeln gut geht und sie die Nacht überstanden haben.“ Der Morgen beginnt nach der Kontrolle dann mit der Reinigung der Igel und ihrer Gehege. Denn Igel sind, wie der englische Name „hedgehog“ schon ganz richtig sagt, wirklich kleine Schweinchen. Alle Stoffsachen müssen gewaschen, alle Näpfe und Häuschen gut geputzt, das Zeitungspapier ausgetauscht werden. Regulär behandelt werden die Igel erst abends, wenn sie wach und aktiv werden, denn Igel sind nachtaktiv. Dann gibt es auch Futter. Angelika erklärt mir, dass die Schattenseiten ihrer Arbeit mit den Igeln leichter zu ertragen sind mit jedem Igel, den sie retten und auswildern kann. Das gäbe ihr die Motivation auch über schlimme Tage hinweg zu kommen.

Begrenzte Kapazitäten


Gesichertes Außengehege im Garten für den Auswilderungsprozess


 Igel-Gehege im Igel-Gartenhaus


Igel-Innengehege im Wintergarten

Die Kapazitäten zur Aufnahme sind begrenzt. Angelika hat aktuell Platz und Zeit für maximal 12 Igel. Mehr schafft sie einfach nicht zu umsorgen und das, obwohl sie bereits in Rente ist. Die Auswilderung passiert über ein gesichertes Außengehege in dem die Igel vorerst noch gefüttert werden, bis sie schlussendlich wieder frei gelassen werden. Oft fragt Angelika die Finder, ob sie nicht die tolle Erfahrung machen wollen ihren Igel selber wieder auszuwildern. Mit ganz viel Glück zieht dieser auch auf Dauer in dem Garten ein, denn Igel haben ihre festen Reviere in denen sie sich niederlassen.

Hilfsbedürftige Igel sind tagsüber unterwegs


 Freilebende Igel brauchen unsere Zufütterung, damit sie so gesund und rund aussehen wie hier

Wenn Angelika sich nicht um ihre Igel kümmert, dann nimmt sie an Fortbildungen, Seminaren und Schulungen von Pro Igel e. V. teil, fährt mit einem Neuzugang zum Tierarzt, bespricht sich mit den anderen Ehrenamtlichen zu aktuellen Themen oder nimmt an Aufklärungsarbeiten in Schulen, Kitas und Ausstellungen teil. „Manchmal bin ich froh, wenn ich schlafe“, erklärt sie mir, während sie Alex einen Schleimlöser spritzt. Einen hilfsbedürftigen Igel erkenne ich übrigens immer daran, dass er bei Tageslicht


Alex bekommt Schleimlöser

unterwegs ist. Weitere Indizien sind außerdem der „Hungerknick“, eine Delle im Nacken des eigentlich runden Igels, die auf eine Unterernährung hinweist. Auch keuchende, röchelnde Geräusche und die ausbleibende Flucht sind Anzeichen dafür. Zum Schluss bekommt Alex über einen Zerstäuber noch Schleimlöser zur Inhalation gereicht, der ihn in seinem Häuschen einnebelt.


Beispiele für igelfreundliches Futter

Während Angelika mir die anderen Pflege-Igel zeigt, erklärt sie mir, dass sie zum Glück Kontakte gefunden habe, u. a. die Tierarztpraxis Dr. Holger Miebach in Worringen und eine Praxis in Dormagen, die ihr nach Absprache bei der medizinischen Behandlung der Igel helfen. Viele Tierärzte kennen sich mit Wildtieren nicht aus oder lehnen die Behandlung ab, denn wer kommt für die Kosten auf? Oft Angelika, die Ehrenamtlichen von Erftigel und der Pro Igel e. V., manchmal aber auch die Tierärzte auf Eigenkosten. Auch die Pflege der Igel muss Angelika selber finanzieren, denn die Spenden, die den Verein erreichen, reichen natürlich nicht immer für alle Igel aus. Vor allem das Futter schlägt zu Buche. Ein Igel, der „nur“ unterernährt ist und Parasitenbefall hat, kostet im Schnitt bei einer Pflege von 4 Wochen 80,00 €. Und da sind die Spritzen, die Strom- und Wasserkosten, die Einweghandschuhe und alles andere an Verbrauchsmaterial noch nicht eingerechnet.

Der Igel hat es sehr schwer bei uns
Die Situation der Igel wird immer schlimmer. Schuld sind vor allem Mensch und Klimawandel. Der Lebensraum des Igel ist unser Garten. Das Problem: viele Gärten sind nicht mehr igelfreundlich. Der Igel findet keine Bleibe und kein Futter mehr. Und dann kommt noch der Klimawandel dazu


Sternchen kam mit einer Schittwunde am Hals auf die Pflegestelle


Sternchen hat zwar noch eine große Narbe von der Schnittverletzung, ist aber schon wieder sehr fit

. Im Winter und Frühjahr zu warm, sodass die Igel zu früh aus dem Winterschlaf erwachen und dann verhungern. Der Sommer zu trocken, die Igel verdursten und verhungern. Im Herbst zu wenig Futter, um den Winterschlaf zu überstehen. Dazu kommen zahlreiche Verletzungen und Tod durch Autos, Hunde, Katzen, Rasenmähroboter und den fahrlässig genutzten Rasenkantenschneider. Der Igel folgt einem besorgniserregenden Trend: sein Bestand verringert sich seit Jahren! In Deutschland steht er auf der Vorwarnliste der Roten Liste. Nicht umsonst ist er nun Tier des Jahres 2024 geworden.

Aktuell sind die meisten Igel, die in den Pflegestellen ankommen, halb verhungert und mit dem dadurch bedingten schlechten Immunsystem Parasiten ausgeliefert. Bald kommen aber neben den Igeln mit üblichen Verletzungen wie Schnittwunden auch wieder viele verwaiste Igelbabys dazu und dann läuft Angelikas Pflegestelle wieder rund um die Uhr auf Hochtouren.

Was kann ich als Privatperson tun, um dem Igel zu helfen?
Igelfreundliche Gartengestaltung ist der Anfang. Beim Rückschnitt im Frühjahr den Igeln vorerst noch die bodennahen Sträucher lassen, in denen sie


2023 hatte Angelika sogar einen Albino-Igel in Behandlung

oft noch den Winterschlaf beenden. Zufütterung ist immens wichtig geworden. Igel sind dankbar für Wasser und getreidefreies, proteinreiches Trocken- und Nassfutter. Zur Fütterung empfehlen sich spezielle Futterhäuser, zum Schlafen spezielle Schlafhäuschen. Anleitungen dazu finden sich im Internet. Wer in nächster Zeit Babyigel vor allem tagsüber ohne Mutter findet, sollte sie aus der Sonne holen, warm halten und beobachten, ob die Mutter bald wieder kommt. Wenn nicht, müssen die Babys sofort einer Pflegestelle übergeben werden. Die Erftigel haben neben ihrer Website auch eine Facebookgruppe, über die man sich engagieren und helfen kann. Pro Igel e. V. stellt viele Informationen im Netz zur Verfügung.

Spenden & Kontakte
Wer Angelika und ihre Igel-Pflegestation in Worringen unterstützen möchte, der kann das finanziell über PayPal an
igelworringen@t-online.de tun. Auch Sachspenden sind immer gerne gesehen. Diese können unter der genannten Mail Adresse angemeldet werden. Gebraucht werden vor allem Futterspenden und Spritzen mit 1 ml Fassungsvermögen. Bitte beachten, dass diese Adresse lediglich zur Annahme und Auskunft von und über Geld- und Sachspenden dient, die an die Igel-Pflegestation Worringen und bei Deckung des Bedarfs an die anderen Ehrenamtler von Erftigel weiter gegeben werden.

Wer einen Igel gefunden hat, sollte sich damit umgehend an eine Auffangstation wenden. Auf keinen Fall sollten Igel unangekündigt bei bekannten Adressen oder Personen abgestellt werden! Aus diesem Grund sehen wir auch davon ab persönliche Daten der Igel-Pflegestation Worringen zu nennen.


WorringenPur.de/28.03.2024
Bericht: Sarah Matschkowski
Fotos: Sarah Matschkowski & Igel-Pflegestation Worringen
Redakt. & digit. Bearbeitung: Matschkowski