Schottland 2019 - Von Edinburgh nach Inverness und zurück - Teil 2 Arrochar und Glencoe
Am dritten Morgen in Edinburgh, einem Sonntag, müssen wir um 5 Uhr in der Früh die gemütlichen Betten verlassen. Es gibt ein sporadisches Frühstück, dann lassen wir uns mit einem Taxi zurück zum Flughafen fahren. Da wartet nämlich unser Mietauto auf uns, das uns die nächste Woche durch Schottland schippern wird. Über Check24 haben wir uns ein gutes Angebot herausgesucht. Leider müssen wir feststellen, dass die Bestimmungen des Vermieters nicht mit unserer Buchung übereinstimmt. Ich bin zu jung, um das Auto fahren zu dürfen, was bedeutet, dass die Fahrerei an nur einer Person aus unserer Gruppe kleben bleibt. Wenigstens bekommen wir für den Aufpreis, den wir für den eigentlich zweiten Fahrer gezahlt haben, ein etwas geräumigeres Auto, das sogar mit Automatikschaltung und eingebautem Navi fährt. Das Gepäck passt gerade so in den Kofferraum, es fängt an zu regnen, dann geht es auch schon los. Der Linksverkehr ist zunächst etwas gewöhnungsbedürftig. Man neigt dazu zu weit nach links zu fahren. Wir, als gute Beifahrer, achten da aber natürlich mit drauf, sodass die Fahrt nach Arrochar beinahe wie im Flug und gänzlich ohne Blech- und Lackschäden vergeht. Die Kulisse wird bald deutlich ländlicher. Nach einer knappen Stunde Fahrt entlang des Loch Lomond, eines großen Sees, kommen wir an unserer Unterkunft für die nächste Nacht an. In Arrochar, einem wirklich überschaubaren, kleinen Ort direkt am See, haben wir erst ein wenig Probleme unseren Bed & Breakfast Gastgeber zu finden. Nachdem wir drei Mal daran vorbei gefahren sind, finden wir das Haus am See. Wir sind eine Stunde zu früh dran, klingeln dann aber doch schon einmal und fragen, ob wir unser Auto und das Gepäck schon da lassen dürfen, damit wir wandern gehen können.
Denn heute möchten wir den Cobbler besteigen! Das Burnbrae B&B wird von einer netten, alten Dame bereitgestellt, die uns mit schottisch-rustikaler Art und lockerem Humor begrüßt. Frühstück gibt es im Erdgeschoss in ihrem Esszimmer. Sie erkundigt sich, ob wir gerne ein typisch schottisches Frühstück hätten oder doch lieber europäisch, damit sie einkaufen fahren kann und erklärt uns, dass im Obergeschoss rechts und links jeweils ein Zimmer mit zwei Betten und einem Bad auf uns warten. Dann fragt sie uns, was wir denn heute noch vorhaben. Wir erzählen ihr, dass wir den Cobbler besteigen möchten. Sie stutzt und mustert uns von oben bis unten und fragt uns dann „Like that?“. Wir sind kurz irritiert, denn schließlich tragen wir gutes Schuhwerk und wetterfeste Outdoorjacken. „Yes?“ antworten wir. Sie sagt uns, dass wir sehr vorsichtig sein sollen, immerhin ist der Cobbler ein „Heavy Trail“ Wanderweg und das Wetter war vorab nicht sehr gut. Mittlerweile ist es vormittags und es hat aufgehört zu regnen. Diesig ist es trotzdem.
Wir schnappen uns also das Auto und fahren auf die andere Seite des Gewässers, um dort die Wanderung zu beginnen. Die Parkuhr ist defekt, also sparen wir uns zumindest die Parkgebühren. Der serpentinenmäßige Aufstieg entlang des Berghanges quer durch den Wald belohnt jetzt schon mit einem wunderbaren Ausblick über den See und erholsamen Einblicken in die Natur. Dichte Tannenwälder, mit dickem Moos bewachsene Waldböden, Bachläufe, malerische kleine Hänge und überall mystisch sprießende Pilze lassen das Auge nicht satt werden. Als wir auf der Bergkuppe ankommen, sind wir recht geschafft. Der Weg ist hier sehr steil, aber wir kämpfen uns weiter. Der Wald wird von einer Highlandebene abgelöst. Gefühlt unendlich weit erstreckt sich die Grassteppe, gesäumt von violettem Heidekraut, Distelblüten und Fingerhut. Das Tal ist eingezäunt von Gebirgsketten. Und dann sehen wir den Cobbler, dessen Umriss wir aus dem Internet kennen und stellen fest: das war bisher vielleicht ein Drittel der Strecke. Wir legen eine kurze Rast auf Felsbrocken ein und wandern dann weiter. Der Weg führt vorbei an einer Schleuse und entlang eines Bachlaufes, dem „Allt a‘ Bhalachain“, der sich mit dem Weg zusammen über die gesamte Ebene zieht. Der Wanderweg ist eigentlich ein Rundweg, der über den Cobbler hinweg und dann den Weg
zurück ins Tal führt. Wir stehen also irgendwann an einer Weggabelung. Die eine Seite führt von vorne an den Berg heran, die andere von hinten. Der Weg, der vorne herum führt, verläuft sich eindeutig irgendwo im Gestein und ist dann nicht mehr ganz so deutlich ein Weg. Die Gruppe teilt sich hier, da das Klettern durch die Steilwand für zwei von uns wegen einer Verletzung und wegen Höhenangst nicht zu bewältigen erscheint. Wir wollen uns dann auf halben Weg treffen und mit den anderen beiden hinten rum wieder zurück gehen.
Und dann wird der Weg wirklich „heavy“. Der Wanderweg verläuft sich irgendwann in losem Gestein und in den Felsen gehauene Treppen. Ein paar Höhenmeter weiter ähnelt er nur noch einer Regenablaufrinne im Felsen, die sich den Berg hinab schlängelt. In dieser Rinne klettern wir nach oben. Ja, wir klettern. Irgendwann sind wir wirklich an der Steilwand und arbeiten uns von Plateau zu Plateau. Mein Kumpel muss mich dann und wann einen Felsen hoch ziehen und mir helfen, weil ich zu klein bin, um die Kante selber zu greifen. Und während wir pustend und ächzend auf einem der Plateaus neben einem Rest Schnee sitzen und die wahnsinnig tolle Aussicht ins Tal und auf der anderen Seite über die Küste genießen, kommen uns Schotten mit ihren Hunden entgegen, die diese verdammt steile Steilwand locker flockig herunter spazieren. Die spinnen doch, die Schotten, denken wir und klettern weiter. Zwischendurch fisselt es immer wieder mal und wir fürchten, dass es doch noch anfängt zu regnen, davon bleiben wir allerdings verschont. Bis ganz oben auf die Spitze klettern wir zu unserer eigenen Resignation
allerdings nicht, weil selbst ein russisches Pärchen mit Profikletterausrüstung den Aufstieg der letzten 100 Meter abgebrochen hat. Also geht es auf der anderen Seite wieder runter. Hier ist der Weg weitaus angenehmer zu bewältigen.. Am Felshang, auf der anderen Seite des Tals, sehen wir Schafe neben einem Wasserfall grasen, die dort frei herumzulaufen scheinen. Dann treffen wir auch schon wieder auf die anderen beiden.
Der Abstieg geht sehr viel schneller und einfacher von statten. Hoch haben wir etwa 4 Stunden gebraucht. Wenn wir noch etwas schneller gehen, sind wir am frühen Abend wieder in der Unterkunft, können uns ausruhen und duschen und dann rechtzeitig zum Abendessen gleich in das Haus nebenan gehen, das eine kleine Gaststätte und einen Pub bietet. Auf geht´s! Auf den letzten paar Metern Höhenluft entdecken wir auf der anderen Seite im Tal noch einen großen Hirsch, der durch das hohe Gras stolziert. Durch die Kamera und das Fernglas lässt er sich richtig schön
beobachten. Wieder am Auto angekommen sind wir vollkommen platt. Wir fahren zur Unterkunft rüber, erholen uns dort ausgiebig und begeben uns dann zwei Stunden später ins „The Village Inn“, das gleich nebenan liegt. Wir bestellen uns einige, klassische Gerichte, die man in Schottland probiert haben sollte, ein wohlverdientes Bier dazu und natürlich kommt auch “Haggis” auf den Tisch. Den Abend lassen wir gebührend ausklingen und fallen dann in die Betten.
Am nächsten Morgen packen wir unsere Sachen, denn im Anschluss an das Frühstück soll es gleich weiter nach Glencoe gehen. Das üppige, schottische Frühstück lassen wir uns schmecken und unterhalten uns dabei mit der netten Vermieterin. Die Atmosphäre ist wohlig und urig und definitiv ein Erlebnis wert. Das Frühstück ist nach meinem Empfinden recht fettig, es besteht aus viel gebratener Wurst und einer Art Pfannkuchen und liegt mir etwas schwer im Magen, schmeckt aber trotzdem sehr gut. Nur den „Black Pudding“, die gebratene, schwarze Blutwurst muss ich an meinen Kumpel abtreten. Wenig später brechen wir nach Glencoe auf und beschließen unterwegs immer dort Halt zu machen, wo es interessant oder schön aussieht. Der Teil dieser Route gehört schon zu den südlichen Highlands und bietet während der Fahrt und an einigen Haltebuchten eine wunderschöne Aussicht über die Ebenen, Berge, Seen und Wälder. Nebel und tief hängende Wolken schieben sich zwischen den Felsformationen hindurch, rollen die Berghänge hinab und hüllen die Straße mitten durchs Nirgendwo komplett ein. Als die Sonne einmal durch den Nebel bricht, erstreckt sich ein Regenbogen über die Ebene. So etwas gibt’s nur im Film? Denkste! Für die
Strecke Arrochar nach Glencoe von knapp 30 Minuten brauchen wir fast zwei Stunden. Auf unserem Weg liegt auch das Glencoe Visitor Center, dem wir einen Besuch abstatten. Neben vielen Informationen zu den Nationalparks in Schottland, der Flora und Fauna und etwaigen Schutzprogrammen, wird einem dort auch viel regionale Geschichte näher gebracht. Man kann von dort aus mehrere Rundwanderwege begehen und obwohl der Muskelkater von der Cobblerwanderung am Tag zuvor noch schreit, gehen wir einen dieser Wanderwege. Er dauert eine knappe Stunde und führt vorbei an den Inverrigan Ruins. Die Ruinen gehören zum „Inverrigan House“, das im späten 18. Jahrhundert gebaut wurde. Einige Zeit davor ungefähr an gleicher Stelle soll das „Glencoe Massaker“ stattgefunden haben, bei dem ein Großteil des ortsansässigen MacDonald Clans heimtückisch ermordet worden sein soll.
Wir beenden den Rundweg und fahren weiter zur Unterkunft. Das „Isles of Glencoe“ bietet eine sehr gehobene und erholsam, ruhige Atmosphäre. Im Sommer sollen hier größtenteils Personen übernachten, die am nahe gelegenen Wasser mit ihren Segelbooten fahren. Der Frühstückssaal bietet in Erkern aus großen Glasscheiben einen wunderschönen Blick über den Loch Leven. Wir entschließen uns, noch einmal eine Runde spazieren zu gehen und decken uns auf dem Weg mit Sandwiches aus dem Nahen Tesko ein. Die fertigen Sandwiches in Schottland sind im Übrigen wirklich lecker im Vergleich zu dem was hiesige Discounter bieten. Unser Spaziergang führt uns zum Glencoe Lochan, einem See nahe Glencoe, um den ein Rundweg herum führt. Wisst ihr eigentlich was ein Kissing Place ist? Das findet sich oft auf Warnschildern für Autos auf sehr engen Straßen. Es kann nämlich durchaus sein, dass eine sehr lange Landstraße nur so breit ist, dass ein Auto drauf passt. Und wenn sich dann zwei Autos gegenüber stehen, dann muss einer von beiden wohl oder übel mitunter eine ganze Strecke rückwärts fahren, bis eine Haltebucht kommt, in die er ausweichen kann. Bei einem Kissing Place ist es sehr wahrscheinlich, dass sich zwei entgegen kommende Autos aufgrund der engen Straße in der Kurve „knutschen“. Beim Glencoe Lochan angekommen, legen wir eine Pause
ein, essen und trinken etwas. Dabei werden wir von sehr zutraulichen Rotkehlchen in Beschlag genommen, die uns beinahe das Brot vom Teller klauen. Wir treten den Rundweg um den See an und genießen die Landschaft. In Schottland findet man immer wieder riesige Rhododendron Buschwerke, die ganze Wanderwege einhüllen. Die invasive Pflanze hat sich in Teilen von Schottland stark ausgebreitet. So schädigend für das Ökosystem diese Pflanzen auch sein mögen, so hinreißend soll der Anblick des Blütenmeeres im Sommer sein. Apropos Sommer. Warum fliegen wir eigentlich Anfang Herbst nach Schottland, wo das Wetter doch sowieso schon mit hoher Wahrscheinlichkeit grundsätzlich eher schlecht und verregnet ist? Ganz einfach. Wir hatten absolut keine Lust von den Horden an Midges, Schottlands berüchtigten, unersättlichen Moskitos, die im Sommer und Spätsommer die Highlands heimsuchen zerstochen zu werden.
Auf dem Rundweg um den See gibt es eine Bank mit vielen kleinen Tafeln, die an Verstorbene erinnern. Sogar Haustiere sind dort verewigt. „Come and take a rest, at this place I liked best“, steht da auf einer der Tafeln. Wir sitzen hier kurz und lassen den Blick über den See auf uns wirken. Auf dem Rückweg fällt uns an einem Steilhang eine Art Seilrutsche auf. Diese scheint vor geraumer Zeit noch zum Abtransport von Waren von und zum Wasser genutzt worden zu sein, die mit den Booten verschifft worden sind. Zurück im Hotel setzen wir uns in einem der Zimmer noch einmal zusammen und lassen den Tag Revue passieren.
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WorringenPur.de/20.12.2021 Bericht & Fotos: Sarah Matschkowski Redakt. & digit. Bearbeitung: Matschkowsi
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